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Channel: Liebliches – Die Sprachspielerin
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Altern

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„Der ist doch viel zu jung für Dich!“, sagten sie und ich verstand es nicht, verstand nicht das ‚zu‘ im Satz und nicht die Empörung in ihren Stimmen. Laut in den Stimmen meiner Freundinnen, leiser in denen meiner Kollegen und überdeutlich in der Stimme meiner Mutter. Ja, er ist jung, Mitte zwanzig. Aber wieso ‚zu jung‘ oder gar ‚viel zu jung‘, wer bestimmt darüber, wer setzt dieses Maß? Und was zum Teufel hat das mit mir zu tun, selbst wenn ich um so viele Jahre älter bin? Er ist jung und das ist er ohne mich und mit mir, nichts außer den verstreichenden Jahren kann daran etwas ändern, ich mache ihn weder jünger noch älter, nichts ändert sein Zusammensein mit mir an seiner Jugend. Warum also immer wieder dieser Vorwurf an mich?

Er gefiel mir und mir schmeichelte, dass er sich für mich interessierte, mir schmeichelte, dass er mich umwarb und küsste und begehrte, der mein Sohn hätte sein können. Wie man so schön sagt. Wie ich oft sagen hörte. Ich zweifelte, aber sein immer steif werdendes Geschlecht, sobald er seinen Körper an meinen presste, war ein Argument für sich. Eines der schönsten Komplimente für eine alternde Frau, eine Frau, die mehr fürchtet zu altern, als sie tatsächlich altert, ein Kompliment, das mich verjüngte und nach dem ich süchtig wurde, das ich immer wieder haben wollte.

Und er? Ich habe ihn nie gefragt, was er an mir als älterer Frau schätzte und ich habe immer geflissentlich vermieden, seiner Mutter zu begegnen. Er wollte lernen. Mehr war es anfangs nicht, erst dann verliebten wir uns.

Was es dann wurde? Eine ganz normale Beziehung, ohne ‚alt‘ und ohne ‚jung‘ und vor allem ohne ‚zu‘, zumindest wenn wir unter uns blieben. Eine schöne Beziehung, eine frische, junge, immer wieder überraschende Beziehung, etwas Aufregendes, eine liebevolle, zärtliche Beziehung. Erst dann begann, was wohl in jeder Liebesgeschichte irgendwann beginnt, weil eine jede altert mit der Zeit.

Ich schien mich abzunutzen wie eine Gegenstand, den man täglich berührt, Gewöhnung setzte ein. Mein Körper schien sich abzunutzen von Tag zu Tag und die Nacktheit meines Körpers erregte nicht mehr. Mein nackter Körper ruhte immer öfter neben seinem, ohne dass er reagierte, immer öfter umarmte er mich, ohne dass sein Geschlecht aufstand und gegen meine Pobacken drückte.

Ich hatte geglaubt, er würde mein Altern nicht mehr bemerken, denn er hatte mich ja schon älter kennengelernt, nicht mehr frisch und glatt und prall wie ein junges Mädchen. Ich dachte, er würde sich nicht an meiner Orangenhaut und meiner erschlaffenden Bauchdecke stören, wenn sie von Anfang an zu mir gehörten. Aber ich altere weiter, unaufhaltsam, das Erschlaffen schreitet fort und ich glaube, er bemerkt es doch. Er sagt nichts, aber ich spüre seine Blicke auf meiner weichen Haut, schräg und stumm und brennend in jeder meiner Falten. Oder bilde ich sie mir nur ein? Ist es nur, dass ich an nichts anderes mehr denken kann und deshalb Blicke spüre, die es nicht gibt?

Vielleicht ist es doch nur das Altern unserer Beziehung und nicht meines, das zu dieser Abnutzung und Gleichgültigkeit führt. Mein Körper ist abgegriffen von seinen Berührungen, er ist abgeküsst von seinen Lippen und die Wiederholungen werden seltener, er versagt mir seine Komplimente. Und nichts ist schmerzlicher als seine Lippen, die sich den meinen entziehen, mich nicht mehr küssen mögen, nichts ist demütigender als sein weiches Geschlecht, das mich nicht mehr will.

Ich liege neben ihm, dem jungen Mann, den alle für ‚zu jung‘ für mich halten und weine, wenn er eingeschlafen ist. Ich weine über das Ausbleiben seiner Berührungen, das Erschlaffen meiner Haut, ich weine über die Stärke seiner Begierde, die vorbei ist, ich weine darüber, dass ich mich jetzt erst wirklich alt fühle, neben ihm, der mich einst verjüngt hatte und der sich nun meinem abgenutzten Körper verweigert. Und doch liebe ich ihn, kann ihn nicht verlassen, muss mich täglich dieser Demütigung aussetzen und fürchte, dass er irgendwann gehen wird.

Nur manchmal, in guten Momenten, lächle ich und sage zu mir: Eigentor! Du wolltest begehrt werden von einem Jungen, Dich durch ihn verjüngen und schläfst jetzt unbegehrt neben einem, der Dir Dein Altern erst vor Augen führt. Selbst Schuld, denke ich dann, Du hättest hören sollen auf die Entrüstung in den Stimmen Deiner Freundinnen, Kollegen, Deiner Mutter, nur einmal, Du hättest Dich nicht verlieben, nicht süchtig werden dürfen und Du hättest es wissen müssen, dass auch Beziehungen altern, nicht nur Du, müder werden und schlaffer und sich abnutzen und dass nichts hilft dagegen.


Requiem

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Nimm sie zurück, Du kannst sie wiederhaben, Dir gehört sie, ich will sie nicht mehr, sie kann Dich nicht vergessen. Wenn sie zu mir aufschaut, dann sehe ich ihren Blick suchen, nach Ähnlichkeiten mit Dir. Wenn sie mit mir spricht, dann spüre ich, dass ihr Ohr nach Deiner Stimme und Deinen Worten verlangt. Wenn ich sie küsse, dann weiß ich, dass sie an Deine Lippen denkt, wenn ich sie berühre, weiß ich, dass sie Deine schlanken Pianistenhände ersehnt, wenn ich mit ihr schlafe, dann fühle ich ihr Begehren nach Dir, wenn ich sie stöhnen höre, scheint sie mir nur Deinen Namen zu hauchen.

Ich versuchte das Requiem eurer Liebe zu sein, requiem aeternam dona eis, aber es will nicht erklingen. Alles Fleisch ist wie Gras, nur nicht Dein Fleisch, an das sie unablässig denkt, wenn sie meines berührt. Es will nicht verdorren, so sehr ich mich auch bemühe, sie kann Dich noch immer nicht vergessen.

Ich wollte sie trösten, vorhin, ich wollte ihr Tee bringen, dampfend und besänftigend, aber sie hat mich nicht erhört, sie hatte kein Erbarmen mit mir, sie hat ihre Tür nur noch fester vor mir verschlossen und sich ans Klavier gesetzt. Sie spielt Deine Stücke, immer wieder die Stücke, die Du für sie komponiert hast und ihr vorspieltest. Sie spielt lang, Du hast ihr viele Kompositionen geschenkt und wenn sie fertig ist, beginnt sie von vorn. Es ist ein Tag der Tränen heute, sie weint, man hört es am Klang der Tasten unter ihren zittrigen Fingern.

Vielleicht denkt sie noch nicht einmal an Dich, nicht an die Trennung von Dir, sie ist vielmehr ganz in Deinen Stücken, ganz versunken in Dich. Ich hasse Deine Stücke und wie sie sie spielt, ich sitze wartend in der Küche, unterm ewigen Licht der Leuchtstoffröhre und fühle mich elend wie im Maul eines Löwen, aber ich wage es nicht, ihre Tür zu öffnen, ich wage es nicht sie anzusprechen. Bisher habe ich immer nur abgewartet bis es vorbei war.

Bis sie selbst die Türe öffnete, sie selbst herauskam zu mir, mit abgewendetem Blick. Ich empfing sie wie ein vom Himmel gefallenes Geschenk, wie ein verwirrtes Kind, wie eine Neugeborene und wenn sie mit mir ins Bett gehen wollte, tat ich so als wüsste ich nicht, dass ich nur das Feuer löschte, das Du, das Deine Musik in ihr entfachte. Ich glaube nicht, dass sie auch nur ein einziges Mal wirklich bei mir, mit mir war. Ich glaube nicht mehr, dass es besser werden wird, wie ich es lange geglaubt habe, ich glaube nicht mehr, dass sie mich lieben lernen wird, wie sie Dich liebte. Ich glaube nicht mehr an ein seliges Ende für uns. Sie kann Dich nicht vergessen.

Sie kann das Requiem nicht vergessen, das Du ihr versprochen hast. Das Requiem, das sie sich von Dir zum Geburtstag wünschte, das Du ihr komponiertest und ihr dann doch nicht gabst, weil es inzwischen vorbei war zwischen euch. Manchmal sitzt sie nur still vor dem Klavier, mit leerem Blick, die Hände im Schoß und denkt an die Schublade, in der ihr Requiem vielleicht liegt oder sie denkt an die Flammen, die ihr Requiem vielleicht verbrannt haben. Und sie denkt sich aus, wie es klingen könnte. Sie weiß nur, dass es mit einem Trompetensolo beginnen sollte, wir wissen warum, denn das war schon das Zeichen für euer Ende, ein Widerhaken in ihrem Fleisch, ein Widerhaken in Deinem.

Ich war dabei, als es passierte, es war nach einer Feier des Trompeters, zu der auch Du kommen wolltest. Du schienst vielbeschäftigt zu dieser Zeit, manchmal wolltest Du sie nicht sehen oder konntest es nicht, niemand von uns wusste genaueres. Du hattest versprochen zu kommen und ich weiß, dass sie sich schon freute, Dich dort zu sehen, aber dann kamst Du nicht. Dafür blieben wir um so länger, ich schlief auf dem Boden und sie im Hochbett des Trompeters. Sie war enttäuscht und betrunken, ich glaube nicht, dass sie nachdachte, sie wollte nur nach oben, ins Hochbett, und es war ihr egal, dass er ebenfalls hinaufstieg. Und ich schlief ein, zwei Meter unter ihnen.

Du kannst mir keinen Vorwurf machen, ich hätte es nicht verhindern können, auch wenn ich Dein Freund war, so wie der Trompeter Dein Freund war. Das einzig Rätselhafte war, dass sie es Dir nicht einfach gestand, dass sie den Trompeter im Rausch geküsst hatte und zu Dir zurückkehrte, Du hättest ihr doch verziehen. Später erklärte sie mir, dass sie dem Anschein der Inkonsequenz aus dem Weg hatte gehen, sich ihre Wankelmütigkeit nicht hatte eingestehen wollen, zu dem Versprechen zu stehen versuchte, das sie dem Trompeter mit ihren Küssen gegeben zu haben glaubte. Sie wollte ihm nicht weh tun, sie mochte ihn. Aber sie liebte Dich.

Und deshalb kam sie dann doch zurück zu Dir: eine Trompete könne immer nur eine Melodie spielen, hat sie mir später gesagt, während die Orgel doch meist drei- oder vierstimmig sei und wenn nötig könnten sogar allein die Füße vierstimmig spielen. Sie sagte es, als sei das eine Erklärung für ihr Verhalten. Du hast sie noch einmal zurückgenommen, nach Wochen, aber der Bruch zwischen euch wollte nicht mehr heilen und die Ankündigung des Trompetensolos am Beginn ihres Requiems war nur eine der Gemeinheiten, nur eine der vielen kleinen Quälereien, die Du ihr zufügtest.

Sie sagt, sie habe das Gefühl, Dich getötet zu haben in dem Moment, in dem sie Dich dann endgültig verlassen habe. Weil Du daraufhin völlig aus ihrem Leben verschwunden seist, plötzlich, nichts mehr mit ihr zu tun haben wolltest, nichts, ihr das Requiem verweigertest. Du gabst ihr nur ein kurzes Stück zum Abschied, das sie nicht spielen wollte, denn es war überschrieben mit: Kaltes Lebewohl.

Ich blieb der Freund an ihrer Seite und begann von diesem Moment an zu warten, bis ich etwas anderes für sie würde sein können, bis sie mich erhörte, sich meiner erbarmte. Ich hörte mir geduldig wie ein Lamm an, was Du ihr immer noch und immer noch bedeutetest, wie sie ihre Loblieder sang und tausend Mal Hosanna. Und dass sie nicht vergessen konnte, wie sie zum ersten Mal bei Dir war und danach die Decke noch mit schamrotem Gesicht bis über ihre nackten Brüste zog und wie Du ihr Erdbeereis brachtest, dann. Sie kauft oft Erdbeereis und ich erfuhr mehr, als ich wissen wollte, ich weiß mehr, als ich wissen sollte. Ich habe keine kleine, nein, eine große Zeit lang Mühe gehabt, mit ihr und ich finde keinen Trost. Mein Leben hatte ein Ziel, ihre Liebe, aber ich kann sie nicht erlangen. Jetzt weiß ich: sie kann nicht hinwegkommen über Deine Erdbeerküsse.

Stundenlang hört sie manchmal das Mozart- oder Brahms-Requiem, als könne sie daraus erahnen, wie Deines klingen könnte. Stundenlang hört sie die Orgelstücke aus Schlafes Bruder, denn Du hattest ihr versprochen, die Stücke zu üben, um sie ihr vorzuspielen. Immer wieder hört sie die rasende Toccata Tu es petra von Henri Mulet und denkt dabei an den Moment, in dem ein Schmetterling durchs herbstliche Kirchenschiff segelte, wie getragen vom Atem der Orgel, während Du dieses Stück spieltest. Wenn sie eine Orgel hört, dann denkt sie immer nur an Dich und manchmal weint sie einen Tag der Tränen lang um Dich, immer noch.

Sie öffnet die Tür nicht, ich sitze wartend in der Küche, unter dem ewigen Licht der Leuchtstoffröhre und sie spielt immer wieder dieses Stück, das von Dir sein muss, es ist Dein Stil, aber ich kenne es noch nicht. Es kann nur das Kalte Lebewohl sein, aber es klingt nicht so. Es klingt sanft, zärtlich, liebevoll und warm, sie hört nicht auf, es immer wieder zu spielen. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Ich ertrage dieses Stück nicht, das sie zum ersten Mal spielt, in das sie versinkt, in dem sie aufgeht wie in ihrer Liebe zu Dir, ich wünschte sie hätte es nie gespielt, wie sie es zwei Jahre lang niemals spielte, in einer Schublade verbarg, den Titel scheuend.

Was soll ich tun? In manchen Momenten des Zorns dachte ich, sie zu verlassen wäre zu wenig, würde meine Demütigung nicht wieder gut machen, ich wollte warten auf einen Tag der Rache, wollte kein Lamm sein, mich nicht zur Opferbank führen lassen. Doch ich liebe sie immer noch. Wer rettet mich vor dem Rachen des Löwen? Wer erbarmt sich meiner? Ich trage Leid, ich trage Traurigkeit, aber wes soll ich mich trösten? Ich werde gehen müssen.

Nimm sie zurück, sie wird immer Dir gehören, ob Du willst oder nicht. Nimm sie zurück und gib ihr ihr Requiem, spiel ihr Schlafes Bruder vor, lass die Orgel atmen, lass die Kirchenbänke vibrieren von ihrem gewaltigen Klang und lass Schmetterlinge fliegen für sie. Gib ihr Erdbeerküsse und nimm sie zurück, sie gehört Dir, sie wird Dich nie vergessen. Ich will sie nicht mehr, ich gebe auf, ich werde gehen, requiem aeternam dona nobis.

An den Sommer

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Ich will das Summen der Bienen, das Brummen der Hummeln und das Zirpen der Bein an Bein wetzenden Grillen, ich will das unablässige Getöse der Insekten, das die heiße, staubige Luft erfüllt und zum Vibrieren bringt, ich will das Klagen der Schwalben und Gurren der flügelschlagenden, liebestrunkenen Tauben, ich will den Gesang der Nachtigallen am Wasserfall und das Fiepen der pelzigen Fledermäuse des Nachts, ich will das Glänzen der sich in der Sonne wärmenden Schlangen und das raschelnde Davonhuschen der Eidechsen, ich will das fleischig-rote Innere der blauen Feigen und die saftige Süße der Trauben vom Weinstock, ich will die Mühsal des Brombeersammelns und das unerwartet Bittere der vom Baum gepflückten Mandeln, ich will die Hitze, die mir den Leib dörrt, die Zunge beschwert und den Geist benebelt, will den Schatten eines Kirschbaums oder des harzigduftenden Pinienwäldchens, ich will den Wind, der mir das Haar zaust, die Stille nach einem Gewitter und den Duft des heißen, nassen Asphalts, ich will das Rot des trockenen, aufgebrochenen Erdreichs und sein Edelsteinfunkeln, ich will die silbrigen Olivenbäume und den Ginster, den gelben, ich will die aufsteigenden Geruchswolken von Thymian, von Rosmarin und von Lavendel, ich will das sanfte Sich-Öffnen der bunten Belles-des-nuits am Abend, will das funkelnde Fallen der Sternschnuppen aus dem weiten Nachthimmel und die lauen Sommernächte, in denen die Erde abkühlt und Kraft schöpft für die sich morgendlich immer wieder erneuernde Hitze, ich will die Spiegelung des Meers im Blau meiner Augen und seinen kühlen Wellenschlag um meinen Leib, ich will Dich, Sommer, ganz.

Herr Ernst

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Darf ich vorstellen: die neue und wieder wunderschöne April-Ausgabe von mindestenshaltbar ist da, diesmal ohne Thema aber dafür mit Musik! Und in diesem ‘Heft’ ist nach einer Pause auch wieder eine Geschichte von mir: Herr Ernst. Ich bin ganz zufrieden damit, sie ist richtig ‘handlungsreich’ für meine Verhältnisse, also: rübergehen, Lesebefehl! Kommentare bitte gerne hier oder dort.

Noch ein Wort zur Musik zu meiner Geschichte: die ist vom großartigen Kevin Hamann alias Clickclickdecker alias My first trumpet. Der Mensch hat so viele verschiedene Musikprojekte, dass es zwar sehr erfreulich aber langsam auch ein bisschen unübersichtlich wird. Es gibt ihn erstens als Clickclickdecker (mit Homepage und Blog), das ist sehr sympathisch-melancholischer Gitarren-Indie-Rock mit deutschen Texten, die oft in einem absurd hohen Tempo vorgetragen werden, sehr hübsch! Als Click hat der Herr mich auch schon zwei Mal auf Konzerten in München sehr erfreut.

Außerdem gibt es dann aber eben My first trumpet, Clicks ‘Elektropop-Projekt’, in das man bei mySpace reinhören und dessen Platte Frerk man sich hier komplett umsonst herunterladen kann (macht das unbedingt, es lohnt sich!). Aus dieser Platte stammt das Stück mit dem wunderbaren Titel ‘Autonarkose’, das ich mir zu meiner Geschichte ausgesucht habe.

Letztlich ist Click zur Zeit aber am aktivsten mit seinem Projekt Bratze (auch hier mySpace, Homepage, Blog), das es sich sicher auch zu beobachten lohnt. Also, hört euch das an oder lest zu Click nochmal nach: in der Wissenswerkstatt gibt es einen Artikel zu “My first trumpet bezaubert mit Frerk” und auch einen zu Click als “Überzeugungstätergitarrenrocker“.


Nachtrag: Nachdem mindestenshaltbar inzwischen eingestellt wurde, hier der Text nochmal komplett:

Herr Ernst

Vielleicht hätte man es an dem Christbaum merken müssen, der im März immer noch geschmückt auf dem kleinen Balkon stand. Vielleicht hätte man es einfach daran merken müssen, dass man dem alten Herrn Ernst gar nicht mehr im Treppenhaus begegnete. Aber nach dem Tod seiner Frau im Herbst war er ohnehin immer seltener aus der Wohnung gekommen und sein immer mürrisches Wesen machte es einem leicht, ihn nicht zu vermissen. Erst hinterher fragte man sich, ob man nicht etwas hätte bemerken müssen, fragte sich, warum man denn nicht an ihn gedacht und sich gesorgt hatte.

Seine Frau war ganz anders gewesen, das genaue Gegenteil, sehr lebhaft, lebensfroh und kontaktfreudig, jeden sprach sie im Treppenhaus an, sie lauerte den Bewohnern regelrecht auf, um sie in ein Schwätzchen zu verstricken und oft hörte man sie laut und mit schöner Alt-Stimme singen, tagsüber, wenn ihr Mann nicht zu Hause war. Während er in der Arbeit war, sang sie die alten Schlager aus ihrer Jugend und manchmal musste man sich dann ein Lachen verkneifen, wenn die alte Dame mit tiefer Stimme “Kann denn Liebe Sünde sein?” oder “Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?” trällerte. Ihr Mann hatte das gar nicht gern. Auch das Klavierspiel hatte er ihr verboten und ihr Klavier kurz nach der Hochzeit verkauft, denn das Musikmachen war ihm verdächtig und gehörte sich nicht für eine anständige Ehefrau, das war seine Meinung. Deshalb blieb es still, sobald er nach Hause gekommen war, sehr still, kein Gesang, kein Radio, kein Lachen mehr von Frau Ernst.

Sie vermisste ihr Klavier, sie sprach oft davon, wie sie als junges Mädchen Klavierstunden bekommen hatte und trotz ihrer kleinen Hände sofort Schlager spielen wollte, ohne lästige Anfänger- und Fingerübungen und wie ihr das auch gelungen war. Ihr Klavier hatte ihr Mann ihr genommen, aber ihre Stimme konnte er ihr doch nicht nehmen. Und so sang sie fröhlich und trotzig, auch ohne Klavierbegleitung, sobald er nur das Haus verließ. Jeden der Hausbewohner packte sie mindestens einmal nach einem Gespräch bei der Hand und führte ihn mit leuchtenden Augen in ihre Wohnung, wo sie stolz wie ein Kind ihren größten Schatz herzeigte: ein original Autogramm von Zarah Leander, ihrem großen Idol, extra für sie.

Man musste sie einfach mögen, die Frau Ernst, auch wenn sie einem manchmal gehörig auf die Nerven gehen konnte, wenn man es eilig hatte, sie einen aber doch im Gespräch festhielt. Ihr Tod kam plötzlich, kurz nachdem ihr Mann in Rente gegangen war, so plötzlich wie sie es sich immer gewünscht hatte. Auch ihre Mutter war damals mitten am Tag, im fahrenden Linienbus ganz unvorbereitet zwischen all den Leuten vom Schlag getroffen worden und sofort tot, wie sie erzählte, so wolle sie auch sterben, so ohne jede Vorwarnung, ohne Krankheit, ohne Schmerzen. Denn sie, sie sei niemals im Leben krank gewesen, nie, nicht einmal eine Erkältung habe sie jemals gehabt und sie könne es sich auch gar nicht vorstellen, auch nicht im Alter, das passe einfach nicht zu ihrer Rossnatur. Dann lieber kerngesund und plötzlich umfallen. Dieser Wunsch war ihr dann tatsächlich erfüllt worden, aber viel früher, als sie gedacht hatte.

Denn eigentlich freute sie sich sehr auf die Rente ihres Mannes, sie erzählte immer wieder begeistert von den Plänen, die sie für diese Zeit hatte, sie hätten ja endlich noch reisen, noch so viel erleben können! Ein Leben lang hatte Herr Ernst gearbeitet, von früh bis spät, auch für sie, sagte er, für sie, die keine Ausbildung hatte, weil schon ihre Mutter das nach dem Besuch der Hauswirtschaftsschule für ein gutbürgerliches Mädchen für überflüssig gehalten hatte, obwohl sie gerne etwas hätte lernen wollen, für sie hatte Herr Ernst gearbeitet, für die es sich seiner Meinung nach auch überhaupt nicht ziemte zu arbeiten. Anständige Frauen blieben zu Hause, machten den Haushalt, umsorgten den Ehemann und brachten abends pünktlich das Essen auf den Tisch, anständige Männer sorgten dafür für den Lebensunterhalt, so einfach war das.

Und dann war es endlich so weit, mit der Rente. Vielleicht ertrug sie es einfach nicht, diesen mürrischen Menschen und sein strenges Regiment plötzlich den ganzen Tag zu Hause um sich zu haben, ertrug es nicht, dass er ihr jetzt dauernd sagte, was zu tun war und sie bei jeder Regelübertretung ermahnte, dass er jedes Schwätzchen mit den Nachbarn, die für ihn Unbekannte waren, für überflüssig hielt und es missbilligte, vielleicht ertrug sie es einfach nicht, dass sie jetzt auch tagsüber nicht mehr singen durfte. Vielleicht entzog ihr seine reine Anwesenheit die Lebenslust. Jedenfalls lag sie eines Morgens einfach tot neben ihm im Bett, nur wenige Wochen, nachdem er seine Rente angetreten hatte, und an diesem Tag sah man den Herrn Ernst zum ersten und letzten Mal emotional aufgewühlt und erregt. Er lief durchs Treppenhaus und klingelte alle Nachbarn aus dem Schlaf, weil er nicht wusste, was er tun solle mit seiner toten Frau, weil er überhaupt nicht wusste, was er tun sollte.

Nach der Beerdigung von Frau Ernst, an der sämtliche Hausbewohner teilnahmen, zog Herr Ernst sich zurück und verließ die Wohnung nur noch schwarz gekleidet zu seinen seltenen Einkäufen, sprach mit niemandem, nur den lautgestellten Fernseher hörte man ab und zu durch die Wände. Nie bekam er Besuch, er hatte keine Freunde, seine Frau war wohl die einzige gewesen, die seinen strengen Charakter aushalten konnte.

Dann war es Frühling geworden, die Jahreszeit, in der Frau Ernst sonst Frühlingslieder gesungen und fröhlich den sorgfältig verteilten Weihnachtsschmuck gegen eine verfrühte Osterdekoration ausgetauscht hatte, die Jahreszeit, in der sie jedem, dessen sie im Treppenhaus habhaft werden konnte, froh erzählte, dass es in einem Frühling gewesen sei, in einem Frühling im Krieg, in dem sie ihren Mann kennengelernt habe, ein Frühling, in dem die Bomben noch die aufgerissenen Felder zu einem glühenden Blühen gebracht hatten. Freudestrahlend berichtete sie dann von ihrem “Ernstl”, wie “schmuck” er damals in Uniform ausgesehen habe – wofür sie auch gerne Fotos als Beweis vorlegte – und wie glücklich sie damals mit ihm gewesen sei.

“Jaja,”, sagte sie dann, “eine Frau wird erst schön durch die Liebe.” Wenn man “Ernstl” aber kannte, dann musste man den Schluss ziehen, dass dies niemals an ihm hatte liegen können, sondern vielmehr Frau Ernst über die Fähigkeit verfügte, mit beinahe jedem Menschen, in beinahe jeder Situation glücklich zu sein. Ihre Augen verschatteten sich nur, wenn sie erzählte, dass sie keine Kinder hatten bekommen können, obwohl sie sich Kinder so sehr gewünscht habe, aber sie fand sicher sehr bald einen Grund, das Thema zu wechseln und fröhlich von etwas anderem zu sprechen. Vielleicht war sie dann lächelnd damit fortgefahren, dass nur der Nachname ihres Mannes nun wirklich nicht zu ihr passe.

In diesem Frühjahr, nach ihrem Tod, blieb der Christbaum, den Herr Ernst trotz allem im Dezember hinausgestellt hatte, bis in den März auf dem kleinen Balkon stehen, aber niemand wunderte sich, niemand dachte überhaupt noch an Herrn Ernst. Vielleicht hätte man einmal bei ihm klingeln, ihm Hilfe anbieten sollen, aber andererseits war man sich sicher zurückgewiesen zu werden und es schien doch alles in Ordnung. Auch roch man nichts, der Winter war kalt und Herrn Ernsts Sparsamkeit führte dazu, dass er die Heizung meist ausgeschaltet ließ. Erst als der große Briefkasten vor Werbung und Kontoauszügen überquoll, rief irgendwer aus dem Haus die Polizei, nachdem Herr Ernst auch nach mehrmaligem Klingeln nicht geöffnet hatte. Er musste schon im Dezember gestorben sein, Verwesung und teilweise Mumifikation waren schon fortgeschritten, als man ihn auf der Couch sitzend fand, auf seinem Schoß das alte Notenheft mit dem Autogramm von Zarah Leander.

Eternità

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Sag nur, dass Deine Liebe mein sei,
dass der Abdruck Deines Fingers
mir ewig bleiben wird auf der Haut,
dass Dein Arm, den Du um mich gelegt,
süß dort immer lasten wird
und dass Dein Kuss, der mich berührte,
dort immer brennen wird, denn dann
lass’ ich nicht die Hoffnung sinken,
verzweifle nicht, sondern
weit’ ich die Schwingen
und warte, bis der Wind mir
Deinen Kuss bringt, den süßen
und Deine sanfte Umarmung,
bis ich den Atem Deines Herzens spüre
und Deine Worte mich wiegen,
bis Deine Liebe mich einhüllt
und flieg’ auf,
vom Nest des hohen Nussbaums,
nach hoch droben,
für immer.

‘Gelegenheit’ oder ‘Linguistischer Liebestod’

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Das Wellenschlagen des Meeres und das Anrauschen der Wogen, das Murmeln des Wassers und Raunen der See neben euch, die glühenden Schrägstrahlen der schon beinahe untergegangenen Sonne vor euch, der kühler werdende Sand, sich den Körperformen anschmiegend, unter euch und ihr liegt, liegt dicht beieinander. Das ist die perfekte Gelegenheit. Du gibst ihr den Joint noch einmal, den sie gerollt hat, mit ihrer Zunge das Papier befeuchtend, das Du beneidetest um die Berührung, der letzte Zug soll für sie sein. Mit geschlossenen Lidern saugt sie den Rauch in sich, berauschend, sie hält den Atem an, verschließt ihn tief in sich, doch während sie den Stummel im Sand ausdrückt, steigt ihr Dampf aus der Nase, wie aus den Nüstern eines erhitzten Pferdes. Auch sie ist erhitzt, von der untergehenden Sonne und vom Rausch und sie fragt sich einen Moment, ob das Schwanken tatsächlich von den dunklen Krümeln im Tabak kommt oder einfach von diesem wiederholten, angestrengten Luftanhalten.

Unterversorgung mit Sauerstoff, jedenfalls aber fühlt sie sich schwebend und nicht ganz von dieser Welt, obwohl sie die ganze Zeit ruhig und stetig am abendlichen Strand liegt, neben Dir, dicht. Es keimt Lachlust in ihr auf, es schüttelt und durchwühlt sie schon, es keimt Liebeslust in ihr auf, es durchpulst sie schon unruhig, ihr Blut an manchen Stellen. Ich sage es Dir nochmal, das ist die perfekte Gelegenheit. Denn ihr liegt schon und ‚Gelegenheit’ kommt von ‚liegen’, etymologisch gesehen, und diese Gelegenheit kommt Dir gelegen, worauf wartest Du, dichter rückt sie nicht mehr heran.

Früher bedeutete Gelegenheit ‚Lage’ und ‚Lager’, heute jedoch ‚Möglichkeit’ und ‚Chance’ und Du hast jetzt die Chance Deine Lage zu ändern, um euer Liegen in ein Liebeslager zu verwandeln, warte nicht mehr, es gilt die Möglichkeit zu nutzen in eurer angenehmen Lage, jetzt. Du lerntest sie an der Universität kennen und Du betetest sie an, vom ersten Augenblick an, Du liebtest es, hinter ihr zu sitzen und ihr schönes, glattglänzendes, rötlich schimmerndes Haar fallen zu sehen, wenn sie den Kopf schräg legte beim Zuhören und sie tat es immer beim Zuhören und Du liebtest es immer. Du hast Dich in die Schräglage ihres Kopfes verliebt und hättest ihre Sommersprossen küssen mögen, wenn sie an Dir vorbei ging, so viele, jede einzelne von ihnen.

Daran denkst Du und – oh nein! – Du denkst an das Seminar, das sie mit Dir besuchte, und grübelst, was Du dort zur Wortbildung von ‚Gelegenheit’ gelernt hast, statt an die Bedeutung zu denken: ‚Gelegenheit’ ist das günstige Zusammentreffen von Umständen und günstiger werden sie nicht mehr. Du weißt, wozu Du jetzt Gelegenheit hättest, Du bräuchtest Dich nur zu ihr beugen. Was Du finden würdest: es wäre Salzgeschmack auf den verkrusteten Lippen, es wäre süßer Speichel und ein williger Mund und vielleicht würde sie Dich nicht sogleich fortschicken, aus dem Rausch erwacht, sondern Dir Gelegenheit geben, Dich zu bewähren an ihrer Seite. Kupplerinnen nannte man auch ‚Gelegenheitsmacherinnen’. Gelegenheitsmacherinnen für euch sind jetzt das Meer, das Abendrot, das Wellenraunen, der Sommerduft und der Rausch, der eure Glieder schwer und euer Blut hitzig macht. Der Joint, der ihr Blut Wellen schlagen lässt in den Adern, der ihren Schoß aufwühlt, sie schweben macht und Du solltest jetzt, die Gelegenheit am Schopfe packend, Dich hinüberlehnen, zum Kuss Dich beugen, zum ersten. Es ist der geeignete Augenblick.

Statt dessen fällt Dir endlich ein, dass ‚Gelegenheit’ die Suffigierung eines Partizips ist, und ich sage Dir, der letzte Zug war zu viel für Dich, Du starrst in den sich verdunkelnden Himmel über Dir statt an das Versüßende neben Dir zu denken, Du musst Deine Müdigkeit abschütteln, sofort. Doch Du bleibst benommen, alles ist neblig in Deinem Hirn und Du verstrickst Dich in Deine Gedanken und sinnst nach über Redewendungen – oh nein! – ‚Gelegenheit macht Diebe’, fällt Dir ein, doch Du solltest an die Erwiderung denken: ‚Geld macht Diebe, Gelegenheit macht Lust und Liebe’ und Du solltest an den Diebstahl von Küssen denken jetzt, auf jede ihrer Sommersprossen unter der meeressalzigen Kruste.

Denn sonst bin ich es, der Dein Klagen hören muss, wie ich es war, der Deinen Klagen lauschen musste, dass Du sie nicht anzusprechen wagtest, dass sie, die Göttergleiche, die Göttliche, Dir den Lebensmut raube, das Herz bräche, den Verstand stehle. Und letzteres glaube ich gern, wenn Du wegen Deines Nebelhirns diese perfekte Gelegenheit verstreichen lässt statt zu tun, worauf Du schon so lange sehnlichst wartest.

Die Sonne ist jetzt ins Meer getaucht, endgültig, sie sieht nach den Fischen, der Sand ist ausgekühlt unter euch, Du kannst Dich nicht winden aus den Gedanken Deiner Gehirnwindungen und merkst nicht, wie ihr Blut abkühlt und sich das Wellenschlagen in ihrem Schoß beruhigt. Sie steht auf, nurmehr ein wenig schwankend und sagt: “Ich geh’ jetzt mal wieder zu den anderen!” und sie zögert nicht.

Ich höre Dein Herz brechen, Du schreckst auf und bemerkst, dass Du sie verpasst hast, die perfekte Gelegenheit, die nie mehr wiederkehrende, die unwiederbringliche, die einmalige. Und darauf wäre selbst Dein Linguistik-Professor nicht stolz.

Feuchtgebiete von Charlotte Roche

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Ja, ich bin verdammt spät dran. Und das liegt nicht am exzellenten Service von Amazon, von dessen Schnelligkeit ich immer wieder begeistert bin, sondern ausschließlich an mir. Aber jetzt, nachdem meine Prüfungen endlich vorbei und sogar die Ergebnisse (mit denen ich mehr als zufrieden bin) schon da sind, habe ich ja ausreichend Zeit, auch mal besagte Zeit zu verplempern. Denn dass die Lektüre der Feuchtgebiete von Charlotte Roche eher in den Bereich der ‘Zeitverschwendung’ fallen würde (und zusätzlich ‘Geldverschwendung’), war mir eigentlich von Anfang an klar. Aber: die Neugier obsiegte.

Um es kurz zu machen: obwohl das Buch auf jeder Seite nach Skandal schreit, war ich weder schockiert, noch fühlte ich mich provoziert, noch habe ich das Buch vor Ekel aus der Hand legen müssen, wie einige berichten. Das mag an meiner recht hohen ‘Ekelgrenze’ liegen, die schon lange durch Henry Millers Opus pistorum, Das obszöne Werk Georges Batailles oder durch die Werke des Marquis de Sade geschult ist (allesamt aber deutlich bessere Bücher). Die Provokation ist also zumindest bei mir (aber nicht nur bei mir) missglückt. Das wäre nicht weiter schlimm, hätte man nicht bei jedem Wort das Gefühl, dass dieses Buch unbedingt provozieren will! Die Feuchtgebiete sind aber auch kein erotisches Buch, kein ‘Porno’ , wie manchmal geschrieben wurde (obwohl es ab und an auch um Analsex, Bordells und Masturbation geht), zumindest nicht in dem Sinne, dass sie beim Lesen erregen würden. Auch mit dieser Meinung bin ich nicht alleine.

Das Problem aber ist: das Buch ist noch nicht einmal besonders unterhaltsam. Okay, an ein, zwei Stellen musste ich schmunzeln, das war es aber auch schon. Und alles, was das Buch zu sagen hat, ist eigentlich auf den ersten zehn bis zwanzig Seiten schon gesagt. Danach, spätestens aber ab Seite 100 (und das Buch hat 220 Seiten) ist es wirklich nur noch langweilig. Wenn auf den ersten Seiten schon zehnmal das Wort ‘Arschficken’ oder ‘Muschischleim’ steht, dann finde ich es beim elften Mal auch nicht mehr aufregend, sondern fast schon normal. Wenn mir schon erzählt wurde, dass die Protagonistin Helen Memel gerne besagten ‘Muschischleim’, ihre Popel und ihren Wundschorf aufisst, finde ich es wenig überraschend, dass sie dies auch mit dem Inhalt ausgedrückter Pickel, den Ablagerungen an den Augen nach dem Schlafen und mit Ohrenschmalz tut. Habe ich irgendetwas vergessen? Nun, sie isst quasi alles, was ihr Körper so produziert und das wird eben in aller Ausführlichkeit aufgezählt, variiert und breitgetreten. Nunja.

Ich habe leider aber auch noch mehr Probleme mit diesem Buch: ich finde diese Protagonistin Helen überhaupt nicht überzeugend. Natürlich ist sie ohnehin eine Karikatur, aber niemals eine 18jährige! Sie wünscht sich ein Kind und lässt sich mit 18 heimlich sterilisieren (den Arzt, der das macht, soll mir Charlotte Roche aber mal zeigen!). Sie zeichnet ihre Mutter als schreckliche, neurotische, hochgradig gestörte Person, ihren Vater nur als halbgestört, will ihm aber eine ‘Wiedervereinigung’ mit der Mutter (das ist ja ihr großes Ziel!) antun? Sie macht die größten Schweinereien und verwendet dann dennoch mädchenhaft-kindliche Ausdrücke wie ‘Muschi’ und ‘Kacka’? Verzeihung, aber da fielen mir auf Anhieb jede Menge ‘schmutzigere’ Ausdrücke ein. Aber vielleicht ist das einfach der nötigen Variation geschuldet. Ich finde jedenfalls, das passt alles nicht, das geht weit über einen ‘widersprüchlichen Charakter’ hinaus, das ist einfach unglaubwürdig.

Und neben dem Essen sämtlicher Körperausscheidungen (was ja erstmal niemandem schadet) kommen wir noch zu den ‘ganz ekligen’ Stellen: dass Helen im Rausch die vermischte Kotze von sich und ihrer Freundin trinkt, nunja, das wird durch die Drogen ja halbwegs entschuldigt. Aber dass sie ihre Tampons auf dem Boden öffentlicher Toiletten zwischenlagert und dort die Klobrillen offensichtlich mit Vorliebe erstmal mit ihren Schamlippen ab- und sauberwischt, um zu beweisen, dass sie sich trotzdem keinen Pilz einfängt, Entschuldigung, das hat weder mit Körperbewusstsein, mit Kampf gegen den Hygienezwang, noch mit ‘Natürlichkeit’, noch mit Coolness irgend etwas zu tun, das ist einfach nur noch Dummheit. Lachen kann ich darüber leider auch nicht, vielleicht sollte man das.

Die Handlung: wie gesagt, da passiert nicht viel, es ist ein einziger innerer Monolog der Protagonistin, die im Krankenhaus liegt, über Hygiene und deren Gegenteil nachdenkt, ein bisschen aus ihrem kurzen Leben erzählt und unbedingt ihre Eltern wieder zusammenbringen will (was ich nicht begreifen kann, aber vielleicht liegt das daran, dass ich kein Scheidungskind bin). Nach einer Notoperation (die sie durch Selbstverletzung absichtlich herbeigeführt hat, um noch eine längere Chance zur Elternwiedervereinigung an ihrem Krankenbett zu bekommen), gibt sie diesen Plan aber urplötzlich und (für mich) ohne erkennbaren Grund wieder auf. Die ganze Eltern-und-Scheidungskind-Handlung bleibt irgendwie seltsam undeutlich, oberflächlich, aufgesetzt. Stattdessen verliebt sich Helen dann in den braven (und sehr blass gezeichneten) Krankenpfleger (dem sie einige ihrer Geschichten erzählt und der ihre ‘Arschwunde’ nach der Hämorrhoiden-OP fotografieren muss) und naja, das Ende, das ist wirklich die Krönung, die Krönung des Unpassenden und Unglaubwürdigen…

Die oft kritisierte Sprache finde ich nun gar nicht so schrecklich, sondern durchaus dem Thema angemessen, über diese Themen in hochliterarischer Sprache unterrichtet zu werden, macht auch nicht unbedingt mehr Vergnügen. Die Sprache ist (vom Anlass ausgehend) weder besonders schlecht, noch besonders gut, aber auch Charlotte Roche selbst würde höchstwahrscheinlich nicht behaupten, damit ein literarisches Meisterwerk vorgelegt zu haben. Was andere mit “schlecht lektoriert” meinen, verstehe ich aber nicht ganz… Unangenehm finde ich höchstens die Ausdrucksweise “auf Klo”, die dauernd benutzt wird.

Jetzt kommt aber erst das Schlimmste: Charlotte Roche behauptet ja in Interviews immer, sie habe in Feuchtgebiete gegen den Hygienewahn und Rasurzwang anschreiben wollen, gegen Intimwaschlotionen, parfümierte Slipeinlagen und das den Frauen antrainierte Gefühl, ‘untenrum’ schmutzig zu sein und zu stinken. Man kann sich darüber streiten, ob das heutzutage und außerhalb von Amerika überhaupt notwendig ist, aber das ist ja durchaus ein hehres Motiv, das man ihr als Bonus anrechnen sollte! Aber, wie auch schon Sigrid Neudecker geschrieben hat: die Protagonistin wettert zwar gegen Intimrasur und den angeblichen ‘Rasurzwang’ ist selbst aber mit großer Freude komplett rasiert (also außer am Kopf an allen verfügbaren Körperstellen). Macht das irgendeinen Sinn? Und ich möchte darauf noch aufbauen, denn das größte Problem ist doch, dass dieses Buch sein ehrenwertes Anliegen – Sexualität und Körper mit all seinen Begleiterscheinungen und Folgen als etwas natürliches, normales darzustellen – selbst konterkariert. Denn dieses Buch spielt (und hier setze ich einfach einmal voraus: bewusst) mit dem Ekel, so dass es wiederum genau das erzeugt, wogegen es eigentlich vorgehen möchte: das Angewidertsein von Körperlichkeit und Körpersäften.

Feuchtgebiete erzeugt keinen ‘heilsamen Schock’, nach dem die Leserin beruhigt ihre Slipeinlagen weglässt (was ja wirklich gesünder ist!), sich ihrem Liebhaber nicht immer zwanghaft frisch geduscht, parfümiert und komplettrasiert präsentieren muss, sondern verstärkt doch noch den Ekel vor all dem, was da in unserem Körper vorgeht und aus ihm herauskommt! Es baut nicht wirklich Hemmungen ab, wenn von Fürzen beim Sex und den braunen Flecken nach dem Analsex die Rede ist! Es führt nicht zu mehr ‘Natürlichkeit’ und Unverkrampftheit, wenn man vorgeführt bekommt, wie jemand sämtliche Körperausscheidungen verspeist. Dieses Buch versagt meiner Meinung nach bei seinem eigenen Anliegen vollständig und das ist ja wohl der größte Vorwurf, den man diesem Buch machen kann.

Meine Empfehlung also: mal in die Interviews auf YouTube reinschauen (ich empfehle besonders das im NDR, aber auch der 2. Teil bei Kerner ist unterhaltsam), denn hier ist Charlotte Roche deutlich besser, lustiger, lockerer und interessanter als in ihrem Buch. Und wer mag, kann auch die ersten zwanzig Seiten von Feuchtgebiete im Buchladen anlesen. Das reicht für einen Eindruck, macht erstmal auch ein bisschen Spaß, aber danach kommt wie gesagt nicht mehr viel. Und vielleicht züchte ich ja mal ein Avocadobäumchen. Und einen kleinen Vorteil hat das Buch ja tatsächlich auch, wie im Literaturcafé zu lesen steht: plötzlich reden alle mal wieder über ein Buch! Ansonsten können einem die Feuchgebiete wie Herrn Denis Scheck aber auch einfach am Arsch vorbeigehen.


Und hier noch ein Exkurs für all jene, die an weiblichen Dingen ‘untenrum’ näher interessiert sind, alle anderen überspringen das bitte!

Was mich auch gestört hat, ist, dass das Buch, was den ‘Muschischleim’ betrifft, schlichtweg schlecht recherchiert ist. Das kann man der Protagonistin Helen anlasten, die sich eben ihre Gedanken macht, ohne besonders gut informiert zu sein, aber eigentlich erwarte ich schon etwas Genauigkeit von einem Buch, das sich dermaßen ausführlich mit weiblicher Anatomie und weiblichen Ausscheidungen beschäftigt. Helen redet nämlich statt von ‘Muschischleim’ auch oft von ihrem ‘Smegma‘, wenn sie den Zervixschleim meint und behauptet so, dieses Smegma käme nicht davon, dass man sich nicht ausreichend wäscht. Im Lexikon (und bei Wikipedia) steht nämlich: “Mit bloßem Auge sichtbare Ansammlungen von Smegma können sich nur bei mangelnder Intimhygiene bilden” und dem widerspricht sie heftigst, mit dem Hinweis auf ihr beflecktes Höschen (S.22-23).

Jetzt besteht da aber einfach ein Unterschied: der Zervixschleim fließt vom Gebärmutterhals (lat. Cervix) durch die Scheide nach draußen, zur Selbstreinigung, und das passiert tatsächlich dauernd, mit oder ohne Waschen. Das ist der ‘Muschischleim’, den Helen in ihrer Unterhose findet oder ins Klo fließen sieht und der ganz normal ist. Und ‘Smegma’ heißen eben tatsächlich nur die dadurch entstehenden und nach einer Weile unangenehm riechenden Ablagerungen in den Hautfalten der Schamlippen und um die Klitoris und die haben eben wirklich mit ‘mangelnder Intimhygiene’ zu tun, ganz anders als der Zervixschleim.

Helen erzählt auch davon, wie sich die Konsistenz dieses Smegmas verändere, “mal wie Hüttenkäse, mal wie Olivenöl, je nachdem, wie lange ich mich nicht gewaschen habe” (S.51). Auch das ist kompletter Unsinn. Wie gesagt kommt der Zervixschleim von innen, seine Konsistenz lässt sich durch Waschen nicht beeinflussen, sondern unterliegt vielmehr den Veränderungen im weiblichen Zyklus, in dessen Lauf sich auch die Konsistenz des Schleims verändert. Soviel zur Genauigkeit von dem, womit sich dieses Buch hauptsächlich beschäftigt.

Vom Leichten und vom Schweren

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Wenn alles so leicht wär’ wie
einschlafen, manchmal
wenn die Laken kühl sind und
Dein Atem ruhig geht
neben mir

Wenn alles so schwer wär’ wie
einschlafen, manchmal
wenn die Gedanken schmerzen,
im Kopf kreisen und
Du fehlst

Wie ein Stein sein
schwer wiegen und
leicht liegen


Vom Südwind

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Manchmal, wenn die Nacht tief und dunkel ist und der Wind aus Süden weht, von dorther, wo Du bist, Iolanda, dann trägt jener Südwind das Rattern eines Zugs in seinen engen Gleisen zu mir und sein Warnsignal von fern. Dann denke ich an Dich und daran, wie einfach es wäre, jenen Zug zu besteigen, der nach Süden fährt und zu Dir, wie einfach es wäre und wie leicht es mir fällt, es nicht zu tun. Ich vermisse Dich nicht, Iolanda, ich vermisste Dich nie. Ich vermisste nie den Geruch Deiner Haut, nicht Dein weiches Fleisch, nicht die Wärme Deines Körpers in der Nacht, wenn der Zug vorbeifuhr und uns weckte mit seinem Signal und Du Dich an mich schmiegtest, bis Dein Atem wieder ruhig ging. Ich vermisse nicht das Leben neben den Zuggleisen und nicht das Leben mit Dir. Es war so leicht Dich zu verlassen, Iolanda.

Nur wenn der Südwind das Geräusch des Zuges zu mir trägt, dann denke ich an Dich und das Bahnwärterhäuschen neben den Gleisen, in dem wir lebten. Ich denke an den Dreck, in dem wir hausten, das schmutzige Geschirr im Spülbecken und die verstreute Kleidung auf dem Holzfußboden, die leeren Flaschen überall, ich denke an die ehemals weißen Gardinen, die der Südwind aus den offenen Fenstern flattern ließ, als wolle er dem Häuschen Flügel wachsen lassen. Du erzähltest mir von der Liebe, Iolanda, und wie sie Dich betrogen und verletzt hatte, immer wieder erzähltest Du von der unglücklichen Liebe; Du trankst dabei, trankst an gegen den Kummer und gegen die Kälte des Nordwinds. „Nach Süden,“ sagtest Du, den Kopf rücklings über das Fensterbrett aus dem Fenster des Bahnwärterhäuschens hängend, wenn der Zug vorbeirauschte, „nach Süden müsste man, einfach in den Zug steigen und nach Süden.“

Und Dein Blick blieb hängen im Blau des Himmels und in den Wolken, während das Rattern des Zugs in den engen Gleisen unsere Ohren betäubte. Du fuhrst nicht, Iolanda, sondern wir liebten uns, betäubt vom Wein, auf dem Bretterboden des Häuschens, das zitterte vom Vorbeifahren der Züge. Es war so leicht Dich zu verlassen, den Zug nach Norden zu nehmen und zu gehen, fort von Dir, fort vom Häuschen an den Gleisen, fort von unserem Leben und fort von Deinem Blick in den Himmel, wenn Du betäubt vom Süden träumtest. Noch nie warst Du im Süden gewesen, aber immer hattest Du ihn vermisst, diesen Süden, der Deine Hoffnungen barg und voll Deiner Träume hing, eben deshalb, weil Du ihn nicht kanntest.

Der Wind blies aus Norden, als wir uns das erste Mal trafen und Du weintest, weintest am Grab Deines Vaters, wie ich am Grab meines Vaters hätte weinen sollen, aber ich konnte nicht, Du weißt warum. Du weintest und warst betrunken, Dein verwischter Blick und Dein Schwanken, ich musste Dich festhalten, Iolanda, beinahe wärst Du gestürzt, zu unseren Vätern ins Grab, die da nebeneinander in ihren ausgehobenen Gruben lagen. Die nebeneinander lagen, weil sie sich gegenseitig fast totgeschlagen hatten, im Suff und liegen geblieben waren, Seite an Seite, in der Kälte des Nordwinds und bewusstlos erfroren. Gemeinsam hatten sie sich betrunken, gemeinsam hatten sie nach Hause gehen wollen, gemeinsam lagen sie nun in den Gruben.

Ein scharfer Wind kam aus Norden und der Friedhof war schon ganz winterlich und kahl, aber Du wolltest bleiben und ich hielt Dich fest, ohne Tränen für meinen Vater, der von Deinem totgeschlagen worden war, der Deinen totgeschlagen hatte, nach ihrem letzten Besäufnis. Ich hielt Dich und dann nahmst Du mich mit zu Dir ins Bahnwärterhäuschen an den Gleisen, das Deinem Vater gehört hatte, und ich blieb. Du erzähltest mir von der Liebe, Iolanda, und dass Dein Vater Dich geliebt hätte. Ich sagte, dass auch er Dich nur ausgenutzt und missbraucht hätte wie die anderen Männer. Du weintest, Du nicktest, schütteltest den Kopf. Dein Vater hätte sich wenigstens für Dich interessiert, sagtest Du, hätte sich um Dich gekümmert, auf Dich aufgepasst, unter Schluchzen.

Ich kümmerte mich um Dich, ich passte auf Dich auf, wie Dein Vater, und ich drang ein in Dein weiches Fleisch und ließ mich nachts von Dir wärmen, ließ mir die Narben auf meinem Rücken küssen von Dir, trank mit Dir und hörte Dir zu, wenn Du vom Süden erzähltest und von der Liebe. Und Du warst so dankbar, Iolanda, dass ich mich schämte. Es war so leicht zu gehen, nach Norden, als ich genug von Dir hatte, Iolanda, von Deinem warmen Fleisch, Deinen Träumen und dem Bahnwärterhäuschen, in dem uns nachts das Rattern der Züge in ihren engen Gleisen weckte, es war so leicht.

Nur wenn der Südwind weht, in einer Nacht, die tief und dunkel ist, dann denke ich an Dich und wie Du auf dem Holzfußboden liegst und der Zug stößt sein Warnsignal aus und der Nordwind weht die Gardinen aus den Fenstern als wolle er das Bahnwärterhäuschen zum Fliegen bringen.

Rot

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Kerstin Klein, die mehrere Blogs hat (hier, hier und hier), hat im neuen Jahr 2010 ein Projekt-Blog gestartet, in dem es um die Frage geht “Was bedeutet ROT für Dich” oder auch “What is RED for you“. Jeden Tag wird dazu eine Antwort veröffentlicht. Ich habe natürlich gerne mitgemacht und mein Gedicht wurde am 9. Januar dort veröffentlicht. Hier ist es nochmal:

Rot

Vielleicht
das Blinken am Telefon, wenn
Du mir eine Nachricht
hinterlässt oder
das Herz, das
ich Dir male.

Rot ist,
wenn wir uns küssen.

Wenn Du Deinen Namen
in mein Herz ritzt,
das ist rot.

Ich weiß ja nicht genau, ob Kerstin genug Teilnehmer hat, aber das Jahr hat noch viele Tage und wenn jemand Lust hat mitzumachen, kann er bestimmt gerne bei Kerstin anfragen (Mailadresse findet sich im Blog).

Umleitung

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Hier geht es vorerst nicht weiter. Denn die Sprachspielerin ist momentan mit Marc von der Wissenswerkstatt und einem Beutelthierchen am anderen Ende der Welt (Neuseeland und Australien) und berichtet darüber unter www.beutelthierchen.de. Also Reiseberichte, ist ja auch eine literarische Gattung. Bitte benutzen Sie die Umleitung.

P.S. Die lebensverschönernden Maßnahmen hat es übrigens durchaus gegeben, sie sind aber leider im Nirvana des Internets verschollen…

Hochzeit mit dem Lieblingsmenschen

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Der Lieblingsmensch und ich, wir führen ja eine moderne Beziehung. Unter anderem laufen bei uns ganz viele Dinge online. So begann das alles jedenfalls vor sechs Jahren und setzte sich fort mit täglichen und nächtlichen Mails. Aber auch mit einem ersten Treffen am 25. August 2005 (wohlgemerkt schon nach erst sieben Mails) im Café Mozart in München. Und wie das mit dem ersten Kuss war, das steht ja sowieso schon in meinem Blog (wobei ich dieses Blog ja sozusagen von ihm geschenkt bekam). Da kann man auch nachlesen, dass es schon ziemlich bald ziemlich hoffnungslos um mich stand und ich dem Lieblingsmenschen rettungslos verfallen bin.

Nachdem unsere Geschichte also sowieso schon im Internet steht, kann man hier ja auch kurz von der neusten Entwicklung berichten: der Lieblingsmensch und ich, wir haben uns geheiratet. Er mich und ich ihn. Erste Anläufe dazu fanden mal wieder per Mail statt, in Sydney gab es im März 2011 dann aber auch nochmal einen Antrag von ihm, mit Ring und so. Und zwar im thailändischen Restaurant “Green Chillies” in Sydneys Alternativ- und Schwulenviertel (entlang der Oxford Street). Dort fühlten wir uns nach jahrelangem Wohnen in Münchens Glockenbachviertel natürlich fast zu Hause und mit Chillies hat es mein Liebster ja ohnehin…

An vorgeschriebene Reihenfolgen haben wir uns selten gehalten, deshalb gibt es jetzt nach der Hochzeit auch keine Hochzeitsreise. Die gab es schon vorher, Marc und ich und das Beutelthierchen sind gute vier Monate (von Januar bis Mitte Mai) durch Neuseeland und Australien getourt. Gut dokumentiert ist das hier, natürlich wieder online, Fortsetzung folgt übrigens noch (am Ende der Reise waren wir etwas faul, aber das wird noch nachgetragen!).

Es soll ja Leute geben, die sich nach der Hochzeitsreise gleich wieder trennen, weil sie es miteinander nicht aushalten. Uns konnte das auf diese Weise nicht passieren. Und auch nachdem wir vier Monate quasi dauernd zusammen, dauernd in einem Raum bzw. Auto bzw. Camper waren, ohne Unterbrechungen, wollten wir trotzdem noch heiraten. Mein Vater nannte das in seiner Hochzeitsrede den “größten denkbaren Stresstest”, den wir bestanden haben. Also setzten wir den Plan schnellstmöglich in die Tat um und am 6. August 2011 war es schließlich so weit.

16 ausgewählte Gäste wurden um 11:30 Uhr in die Uhrenstube in Schwäbisch Gmünd geladen. In diesem holzgetäfelten Trausaal mit Butzenscheiben fanden wir eine sehr freundliche und fröhliche Standesbeamtin vor, die eine schöne Ansprache mit zahlreichen Erich-Fromm-Zitaten hielt. Und sprachen schließlich beide aus, weshalb wir gekommen waren: Ja! Ringwechsel, Kuss, Gratulationen, Sektempfang im Sonnenschein im Spitalhof mit all den lieben Menschen – alles verging wie im Fluge!

Über den Marktplatz und vorbei an der romanischen Johanniskirche lief unser Hochzeitszug dann zum Rokokoschlösschen, dem 1780 vom damaligen Bürgermeister Gmünds (Georg Franz Stahl Edler von Pfeilhalden) für seine Frau errichteten Lustschloss, ein Traum in rosarot! Nachdem das Mittagessen mit gebackenem Ziegenfrischkäse, Schwäbischem Filetpfännle oder gebratener Lachsforelle und Nachtisch im stuckverzierten, kronleuchterbehangenen und teilvergoldeten Saal eingenommen war, machten wir uns auf den Weg zur Kaffeetafel. Eine zweistöckige Hochzeitstorte mit Marzipan-Brautpaar konnten der Lieblingsmensch und ich dann gemeinsam anschneiden (und verspeisen!). In Wohnzimmer und Garten, bei Kaffee, Kuchen, Fußballgekicke und Begutachtung unseres Zoos klang unsere Feier dann aus.

Ich habe in eine sehr besondere Familie eingeheiratet, so kann man das vielleicht sagen. Jedenfalls leben wir jetzt zu fünft (eine Generation) in einer Villa Kunterbunt mit kunterbuntem Garten, dem Hund Balu, der Katze Felix und vielen Fischen, die in einem großen Teich herumschwimmen und alle auch einen Namen haben. Auf dem Land in der Nähe von Schwäbisch Gmünd. Im Garten setzen wir jetzt die Kiwi-Pflänzchen ein, die wir von meiner lieben Trauzeugin und besten Freundin geschenkt bekommen haben. Denen erzählen wir dann von Neuseeland, damit sie kein Heimweh bekommen.

Und wir beide, der Lieblingsmensch und ich, versuchen in die Tat umzusetzen, was mein Vater uns mitgegeben hat in seiner Rede: “Mit jedem Wechsel der Lebensumstände – und seien es auch nur die dahinfließenden Jahre – verändert sich der Mensch, langsam, unmerklich. Die große Aufgabe in der Ehe ist es, seine Liebe diesen Wandlungen anzupassen. Da die Liebe keine Forderung an den Partner ist, sondern ein Geben, bedeutet dies ständige Liebesarbeit.” Möge uns diese Arbeit an der Liebe gelingen! Und uns viel Spaß machen!

An den Sommer

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Ich will das Summen der Bienen, das Brummen der Hummeln und das Zirpen der Bein an Bein wetzenden Grillen, ich will das unablässige Getöse der Insekten, das die heiße, staubige Luft erfüllt und zum Vibrieren bringt, ich will das Klagen der Schwalben und Gurren der flügelschlagenden, liebestrunkenen Tauben, ich will den Gesang der Nachtigallen am Wasserfall und das Fiepen der pelzigen Fledermäuse des Nachts, ich will das Glänzen der sich in der Sonne wärmenden Schlangen und das raschelnde Davonhuschen der Eidechsen, ich will das fleischig-rote Innere der blauen Feigen und die saftige Süße der Trauben vom Weinstock, ich will die Mühsal des Brombeersammelns und das unerwartet Bittere der vom Baum gepflückten Mandeln, ich will die Hitze, die mir den Leib dörrt, die Zunge beschwert und den Geist benebelt, will den Schatten eines Kirschbaums oder des harzigduftenden Pinienwäldchens, ich will den Wind, der mir das Haar zaust, die Stille nach einem Gewitter und den Duft des heißen, nassen Asphalts, ich will das Rot des trockenen, aufgebrochenen Erdreichs und sein Edelsteinfunkeln, ich will die silbrigen Olivenbäume und den Ginster, den gelben, ich will die aufsteigenden Geruchswolken von Thymian, von Rosmarin und von Lavendel, ich will das sanfte Sich-Öffnen der bunten Belles-des-nuits am Abend, will das funkelnde Fallen der Sternschnuppen aus dem weiten Nachthimmel und die lauen Sommernächte, in denen die Erde abkühlt und Kraft schöpft für die sich morgendlich immer wieder erneuernde Hitze, ich will die Spiegelung des Meers im Blau meiner Augen und seinen kühlen Wellenschlag um meinen Leib, ich will Dich, Sommer, ganz.

Herr Ernst

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Darf ich vorstellen: die neue und wieder wunderschöne April-Ausgabe von mindestenshaltbar ist da, diesmal ohne Thema aber dafür mit Musik! Und in diesem ‘Heft’ ist nach einer Pause auch wieder eine Geschichte von mir: Herr Ernst. Ich bin ganz zufrieden damit, sie ist richtig ‘handlungsreich’ für meine Verhältnisse, also: rübergehen, Lesebefehl! Kommentare bitte gerne hier oder dort.

Noch ein Wort zur Musik zu meiner Geschichte: die ist vom großartigen Kevin Hamann alias Clickclickdecker alias My first trumpet. Der Mensch hat so viele verschiedene Musikprojekte, dass es zwar sehr erfreulich aber langsam auch ein bisschen unübersichtlich wird. Es gibt ihn erstens als Clickclickdecker (mit Homepage und Blog), das ist sehr sympathisch-melancholischer Gitarren-Indie-Rock mit deutschen Texten, die oft in einem absurd hohen Tempo vorgetragen werden, sehr hübsch! Als Click hat der Herr mich auch schon zwei Mal auf Konzerten in München sehr erfreut.

Außerdem gibt es dann aber eben My first trumpet, Clicks ‘Elektropop-Projekt’, in das man bei mySpace reinhören und dessen Platte Frerk man sich hier komplett umsonst herunterladen kann (macht das unbedingt, es lohnt sich!). Aus dieser Platte stammt das Stück mit dem wunderbaren Titel ‘Autonarkose’, das ich mir zu meiner Geschichte ausgesucht habe.

Letztlich ist Click zur Zeit aber am aktivsten mit seinem Projekt Bratze (auch hier mySpace, Homepage, Blog), das es sich sicher auch zu beobachten lohnt. Also, hört euch das an oder lest zu Click nochmal nach: in der Wissenswerkstatt gibt es einen Artikel zu “My first trumpet bezaubert mit Frerk” und auch einen zu Click als “Überzeugungstätergitarrenrocker“.


Nachtrag: Nachdem mindestenshaltbar inzwischen eingestellt wurde, hier der Text nochmal komplett:

Herr Ernst

Vielleicht hätte man es an dem Christbaum merken müssen, der im März immer noch geschmückt auf dem kleinen Balkon stand. Vielleicht hätte man es einfach daran merken müssen, dass man dem alten Herrn Ernst gar nicht mehr im Treppenhaus begegnete. Aber nach dem Tod seiner Frau im Herbst war er ohnehin immer seltener aus der Wohnung gekommen und sein immer mürrisches Wesen machte es einem leicht, ihn nicht zu vermissen. Erst hinterher fragte man sich, ob man nicht etwas hätte bemerken müssen, fragte sich, warum man denn nicht an ihn gedacht und sich gesorgt hatte.

Seine Frau war ganz anders gewesen, das genaue Gegenteil, sehr lebhaft, lebensfroh und kontaktfreudig, jeden sprach sie im Treppenhaus an, sie lauerte den Bewohnern regelrecht auf, um sie in ein Schwätzchen zu verstricken und oft hörte man sie laut und mit schöner Alt-Stimme singen, tagsüber, wenn ihr Mann nicht zu Hause war. Während er in der Arbeit war, sang sie die alten Schlager aus ihrer Jugend und manchmal musste man sich dann ein Lachen verkneifen, wenn die alte Dame mit tiefer Stimme “Kann denn Liebe Sünde sein?” oder “Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?” trällerte. Ihr Mann hatte das gar nicht gern. Auch das Klavierspiel hatte er ihr verboten und ihr Klavier kurz nach der Hochzeit verkauft, denn das Musikmachen war ihm verdächtig und gehörte sich nicht für eine anständige Ehefrau, das war seine Meinung. Deshalb blieb es still, sobald er nach Hause gekommen war, sehr still, kein Gesang, kein Radio, kein Lachen mehr von Frau Ernst.

Sie vermisste ihr Klavier, sie sprach oft davon, wie sie als junges Mädchen Klavierstunden bekommen hatte und trotz ihrer kleinen Hände sofort Schlager spielen wollte, ohne lästige Anfänger- und Fingerübungen und wie ihr das auch gelungen war. Ihr Klavier hatte ihr Mann ihr genommen, aber ihre Stimme konnte er ihr doch nicht nehmen. Und so sang sie fröhlich und trotzig, auch ohne Klavierbegleitung, sobald er nur das Haus verließ. Jeden der Hausbewohner packte sie mindestens einmal nach einem Gespräch bei der Hand und führte ihn mit leuchtenden Augen in ihre Wohnung, wo sie stolz wie ein Kind ihren größten Schatz herzeigte: ein original Autogramm von Zarah Leander, ihrem großen Idol, extra für sie.

Man musste sie einfach mögen, die Frau Ernst, auch wenn sie einem manchmal gehörig auf die Nerven gehen konnte, wenn man es eilig hatte, sie einen aber doch im Gespräch festhielt. Ihr Tod kam plötzlich, kurz nachdem ihr Mann in Rente gegangen war, so plötzlich wie sie es sich immer gewünscht hatte. Auch ihre Mutter war damals mitten am Tag, im fahrenden Linienbus ganz unvorbereitet zwischen all den Leuten vom Schlag getroffen worden und sofort tot, wie sie erzählte, so wolle sie auch sterben, so ohne jede Vorwarnung, ohne Krankheit, ohne Schmerzen. Denn sie, sie sei niemals im Leben krank gewesen, nie, nicht einmal eine Erkältung habe sie jemals gehabt und sie könne es sich auch gar nicht vorstellen, auch nicht im Alter, das passe einfach nicht zu ihrer Rossnatur. Dann lieber kerngesund und plötzlich umfallen. Dieser Wunsch war ihr dann tatsächlich erfüllt worden, aber viel früher, als sie gedacht hatte.

Denn eigentlich freute sie sich sehr auf die Rente ihres Mannes, sie erzählte immer wieder begeistert von den Plänen, die sie für diese Zeit hatte, sie hätten ja endlich noch reisen, noch so viel erleben können! Ein Leben lang hatte Herr Ernst gearbeitet, von früh bis spät, auch für sie, sagte er, für sie, die keine Ausbildung hatte, weil schon ihre Mutter das nach dem Besuch der Hauswirtschaftsschule für ein gutbürgerliches Mädchen für überflüssig gehalten hatte, obwohl sie gerne etwas hätte lernen wollen, für sie hatte Herr Ernst gearbeitet, für die es sich seiner Meinung nach auch überhaupt nicht ziemte zu arbeiten. Anständige Frauen blieben zu Hause, machten den Haushalt, umsorgten den Ehemann und brachten abends pünktlich das Essen auf den Tisch, anständige Männer sorgten dafür für den Lebensunterhalt, so einfach war das.

Und dann war es endlich so weit, mit der Rente. Vielleicht ertrug sie es einfach nicht, diesen mürrischen Menschen und sein strenges Regiment plötzlich den ganzen Tag zu Hause um sich zu haben, ertrug es nicht, dass er ihr jetzt dauernd sagte, was zu tun war und sie bei jeder Regelübertretung ermahnte, dass er jedes Schwätzchen mit den Nachbarn, die für ihn Unbekannte waren, für überflüssig hielt und es missbilligte, vielleicht ertrug sie es einfach nicht, dass sie jetzt auch tagsüber nicht mehr singen durfte. Vielleicht entzog ihr seine reine Anwesenheit die Lebenslust. Jedenfalls lag sie eines Morgens einfach tot neben ihm im Bett, nur wenige Wochen, nachdem er seine Rente angetreten hatte, und an diesem Tag sah man den Herrn Ernst zum ersten und letzten Mal emotional aufgewühlt und erregt. Er lief durchs Treppenhaus und klingelte alle Nachbarn aus dem Schlaf, weil er nicht wusste, was er tun solle mit seiner toten Frau, weil er überhaupt nicht wusste, was er tun sollte.

Nach der Beerdigung von Frau Ernst, an der sämtliche Hausbewohner teilnahmen, zog Herr Ernst sich zurück und verließ die Wohnung nur noch schwarz gekleidet zu seinen seltenen Einkäufen, sprach mit niemandem, nur den lautgestellten Fernseher hörte man ab und zu durch die Wände. Nie bekam er Besuch, er hatte keine Freunde, seine Frau war wohl die einzige gewesen, die seinen strengen Charakter aushalten konnte.

Dann war es Frühling geworden, die Jahreszeit, in der Frau Ernst sonst Frühlingslieder gesungen und fröhlich den sorgfältig verteilten Weihnachtsschmuck gegen eine verfrühte Osterdekoration ausgetauscht hatte, die Jahreszeit, in der sie jedem, dessen sie im Treppenhaus habhaft werden konnte, froh erzählte, dass es in einem Frühling gewesen sei, in einem Frühling im Krieg, in dem sie ihren Mann kennengelernt habe, ein Frühling, in dem die Bomben noch die aufgerissenen Felder zu einem glühenden Blühen gebracht hatten. Freudestrahlend berichtete sie dann von ihrem “Ernstl”, wie “schmuck” er damals in Uniform ausgesehen habe – wofür sie auch gerne Fotos als Beweis vorlegte – und wie glücklich sie damals mit ihm gewesen sei.

“Jaja,”, sagte sie dann, “eine Frau wird erst schön durch die Liebe.” Wenn man “Ernstl” aber kannte, dann musste man den Schluss ziehen, dass dies niemals an ihm hatte liegen können, sondern vielmehr Frau Ernst über die Fähigkeit verfügte, mit beinahe jedem Menschen, in beinahe jeder Situation glücklich zu sein. Ihre Augen verschatteten sich nur, wenn sie erzählte, dass sie keine Kinder hatten bekommen können, obwohl sie sich Kinder so sehr gewünscht habe, aber sie fand sicher sehr bald einen Grund, das Thema zu wechseln und fröhlich von etwas anderem zu sprechen. Vielleicht war sie dann lächelnd damit fortgefahren, dass nur der Nachname ihres Mannes nun wirklich nicht zu ihr passe.

In diesem Frühjahr, nach ihrem Tod, blieb der Christbaum, den Herr Ernst trotz allem im Dezember hinausgestellt hatte, bis in den März auf dem kleinen Balkon stehen, aber niemand wunderte sich, niemand dachte überhaupt noch an Herrn Ernst. Vielleicht hätte man einmal bei ihm klingeln, ihm Hilfe anbieten sollen, aber andererseits war man sich sicher zurückgewiesen zu werden und es schien doch alles in Ordnung. Auch roch man nichts, der Winter war kalt und Herrn Ernsts Sparsamkeit führte dazu, dass er die Heizung meist ausgeschaltet ließ. Erst als der große Briefkasten vor Werbung und Kontoauszügen überquoll, rief irgendwer aus dem Haus die Polizei, nachdem Herr Ernst auch nach mehrmaligem Klingeln nicht geöffnet hatte. Er musste schon im Dezember gestorben sein, Verwesung und teilweise Mumifikation waren schon fortgeschritten, als man ihn auf der Couch sitzend fand, auf seinem Schoß das alte Notenheft mit dem Autogramm von Zarah Leander.

Eternità

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Sag nur, dass Deine Liebe mein sei,
dass der Abdruck Deines Fingers
mir ewig bleiben wird auf der Haut,
dass Dein Arm, den Du um mich gelegt,
süß dort immer lasten wird
und dass Dein Kuss, der mich berührte,
dort immer brennen wird, denn dann
lass’ ich nicht die Hoffnung sinken,
verzweifle nicht, sondern
weit’ ich die Schwingen
und warte, bis der Wind mir
Deinen Kuss bringt, den süßen
und Deine sanfte Umarmung,
bis ich den Atem Deines Herzens spüre
und Deine Worte mich wiegen,
bis Deine Liebe mich einhüllt
und flieg’ auf,
vom Nest des hohen Nussbaums,
nach hoch droben,
für immer.


‘Gelegenheit’ oder ‘Linguistischer Liebestod’

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Das Wellenschlagen des Meeres und das Anrauschen der Wogen, das Murmeln des Wassers und Raunen der See neben euch, die glühenden Schrägstrahlen der schon beinahe untergegangenen Sonne vor euch, der kühler werdende Sand, sich den Körperformen anschmiegend, unter euch und ihr liegt, liegt dicht beieinander. Das ist die perfekte Gelegenheit. Du gibst ihr den Joint noch einmal, den sie gerollt hat, mit ihrer Zunge das Papier befeuchtend, das Du beneidetest um die Berührung, der letzte Zug soll für sie sein. Mit geschlossenen Lidern saugt sie den Rauch in sich, berauschend, sie hält den Atem an, verschließt ihn tief in sich, doch während sie den Stummel im Sand ausdrückt, steigt ihr Dampf aus der Nase, wie aus den Nüstern eines erhitzten Pferdes. Auch sie ist erhitzt, von der untergehenden Sonne und vom Rausch und sie fragt sich einen Moment, ob das Schwanken tatsächlich von den dunklen Krümeln im Tabak kommt oder einfach von diesem wiederholten, angestrengten Luftanhalten.

Unterversorgung mit Sauerstoff, jedenfalls aber fühlt sie sich schwebend und nicht ganz von dieser Welt, obwohl sie die ganze Zeit ruhig und stetig am abendlichen Strand liegt, neben Dir, dicht. Es keimt Lachlust in ihr auf, es schüttelt und durchwühlt sie schon, es keimt Liebeslust in ihr auf, es durchpulst sie schon unruhig, ihr Blut an manchen Stellen. Ich sage es Dir nochmal, das ist die perfekte Gelegenheit. Denn ihr liegt schon und ‚Gelegenheit’ kommt von ‚liegen’, etymologisch gesehen, und diese Gelegenheit kommt Dir gelegen, worauf wartest Du, dichter rückt sie nicht mehr heran.

Früher bedeutete Gelegenheit ‚Lage’ und ‚Lager’, heute jedoch ‚Möglichkeit’ und ‚Chance’ und Du hast jetzt die Chance Deine Lage zu ändern, um euer Liegen in ein Liebeslager zu verwandeln, warte nicht mehr, es gilt die Möglichkeit zu nutzen in eurer angenehmen Lage, jetzt. Du lerntest sie an der Universität kennen und Du betetest sie an, vom ersten Augenblick an, Du liebtest es, hinter ihr zu sitzen und ihr schönes, glattglänzendes, rötlich schimmerndes Haar fallen zu sehen, wenn sie den Kopf schräg legte beim Zuhören und sie tat es immer beim Zuhören und Du liebtest es immer. Du hast Dich in die Schräglage ihres Kopfes verliebt und hättest ihre Sommersprossen küssen mögen, wenn sie an Dir vorbei ging, so viele, jede einzelne von ihnen.

Daran denkst Du und – oh nein! – Du denkst an das Seminar, das sie mit Dir besuchte, und grübelst, was Du dort zur Wortbildung von ‚Gelegenheit’ gelernt hast, statt an die Bedeutung zu denken: ‚Gelegenheit’ ist das günstige Zusammentreffen von Umständen und günstiger werden sie nicht mehr. Du weißt, wozu Du jetzt Gelegenheit hättest, Du bräuchtest Dich nur zu ihr beugen. Was Du finden würdest: es wäre Salzgeschmack auf den verkrusteten Lippen, es wäre süßer Speichel und ein williger Mund und vielleicht würde sie Dich nicht sogleich fortschicken, aus dem Rausch erwacht, sondern Dir Gelegenheit geben, Dich zu bewähren an ihrer Seite. Kupplerinnen nannte man auch ‚Gelegenheitsmacherinnen’. Gelegenheitsmacherinnen für euch sind jetzt das Meer, das Abendrot, das Wellenraunen, der Sommerduft und der Rausch, der eure Glieder schwer und euer Blut hitzig macht. Der Joint, der ihr Blut Wellen schlagen lässt in den Adern, der ihren Schoß aufwühlt, sie schweben macht und Du solltest jetzt, die Gelegenheit am Schopfe packend, Dich hinüberlehnen, zum Kuss Dich beugen, zum ersten. Es ist der geeignete Augenblick.

Statt dessen fällt Dir endlich ein, dass ‚Gelegenheit’ die Suffigierung eines Partizips ist, und ich sage Dir, der letzte Zug war zu viel für Dich, Du starrst in den sich verdunkelnden Himmel über Dir statt an das Versüßende neben Dir zu denken, Du musst Deine Müdigkeit abschütteln, sofort. Doch Du bleibst benommen, alles ist neblig in Deinem Hirn und Du verstrickst Dich in Deine Gedanken und sinnst nach über Redewendungen – oh nein! – ‚Gelegenheit macht Diebe’, fällt Dir ein, doch Du solltest an die Erwiderung denken: ‚Geld macht Diebe, Gelegenheit macht Lust und Liebe’ und Du solltest an den Diebstahl von Küssen denken jetzt, auf jede ihrer Sommersprossen unter der meeressalzigen Kruste.

Denn sonst bin ich es, der Dein Klagen hören muss, wie ich es war, der Deinen Klagen lauschen musste, dass Du sie nicht anzusprechen wagtest, dass sie, die Göttergleiche, die Göttliche, Dir den Lebensmut raube, das Herz bräche, den Verstand stehle. Und letzteres glaube ich gern, wenn Du wegen Deines Nebelhirns diese perfekte Gelegenheit verstreichen lässt statt zu tun, worauf Du schon so lange sehnlichst wartest.

Die Sonne ist jetzt ins Meer getaucht, endgültig, sie sieht nach den Fischen, der Sand ist ausgekühlt unter euch, Du kannst Dich nicht winden aus den Gedanken Deiner Gehirnwindungen und merkst nicht, wie ihr Blut abkühlt und sich das Wellenschlagen in ihrem Schoß beruhigt. Sie steht auf, nurmehr ein wenig schwankend und sagt: “Ich geh’ jetzt mal wieder zu den anderen!” und sie zögert nicht.

Ich höre Dein Herz brechen, Du schreckst auf und bemerkst, dass Du sie verpasst hast, die perfekte Gelegenheit, die nie mehr wiederkehrende, die unwiederbringliche, die einmalige. Und darauf wäre selbst Dein Linguistik-Professor nicht stolz.

Feuchtgebiete von Charlotte Roche

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Ja, ich bin verdammt spät dran. Und das liegt nicht am exzellenten Service von Amazon, von dessen Schnelligkeit ich immer wieder begeistert bin, sondern ausschließlich an mir. Aber jetzt, nachdem meine Prüfungen endlich vorbei und sogar die Ergebnisse (mit denen ich mehr als zufrieden bin) schon da sind, habe ich ja ausreichend Zeit, auch mal besagte Zeit zu verplempern. Denn dass die Lektüre der Feuchtgebiete von Charlotte Roche eher in den Bereich der ‘Zeitverschwendung’ fallen würde (und zusätzlich ‘Geldverschwendung’), war mir eigentlich von Anfang an klar. Aber: die Neugier obsiegte.

Um es kurz zu machen: obwohl das Buch auf jeder Seite nach Skandal schreit, war ich weder schockiert, noch fühlte ich mich provoziert, noch habe ich das Buch vor Ekel aus der Hand legen müssen, wie einige berichten. Das mag an meiner recht hohen ‘Ekelgrenze’ liegen, die schon lange durch Henry Millers Opus pistorum, Das obszöne Werk Georges Batailles oder durch die Werke des Marquis de Sade geschult ist (allesamt aber deutlich bessere Bücher). Die Provokation ist also zumindest bei mir (aber nicht nur bei mir) missglückt. Das wäre nicht weiter schlimm, hätte man nicht bei jedem Wort das Gefühl, dass dieses Buch unbedingt provozieren will! Die Feuchtgebiete sind aber auch kein erotisches Buch, kein ‘Porno’ , wie manchmal geschrieben wurde (obwohl es ab und an auch um Analsex, Bordells und Masturbation geht), zumindest nicht in dem Sinne, dass sie beim Lesen erregen würden. Auch mit dieser Meinung bin ich nicht alleine.

Das Problem aber ist: das Buch ist noch nicht einmal besonders unterhaltsam. Okay, an ein, zwei Stellen musste ich schmunzeln, das war es aber auch schon. Und alles, was das Buch zu sagen hat, ist eigentlich auf den ersten zehn bis zwanzig Seiten schon gesagt. Danach, spätestens aber ab Seite 100 (und das Buch hat 220 Seiten) ist es wirklich nur noch langweilig. Wenn auf den ersten Seiten schon zehnmal das Wort ‘Arschficken’ oder ‘Muschischleim’ steht, dann finde ich es beim elften Mal auch nicht mehr aufregend, sondern fast schon normal. Wenn mir schon erzählt wurde, dass die Protagonistin Helen Memel gerne besagten ‘Muschischleim’, ihre Popel und ihren Wundschorf aufisst, finde ich es wenig überraschend, dass sie dies auch mit dem Inhalt ausgedrückter Pickel, den Ablagerungen an den Augen nach dem Schlafen und mit Ohrenschmalz tut. Habe ich irgendetwas vergessen? Nun, sie isst quasi alles, was ihr Körper so produziert und das wird eben in aller Ausführlichkeit aufgezählt, variiert und breitgetreten. Nunja.

Ich habe leider aber auch noch mehr Probleme mit diesem Buch: ich finde diese Protagonistin Helen überhaupt nicht überzeugend. Natürlich ist sie ohnehin eine Karikatur, aber niemals eine 18jährige! Sie wünscht sich ein Kind und lässt sich mit 18 heimlich sterilisieren (den Arzt, der das macht, soll mir Charlotte Roche aber mal zeigen!). Sie zeichnet ihre Mutter als schreckliche, neurotische, hochgradig gestörte Person, ihren Vater nur als halbgestört, will ihm aber eine ‘Wiedervereinigung’ mit der Mutter (das ist ja ihr großes Ziel!) antun? Sie macht die größten Schweinereien und verwendet dann dennoch mädchenhaft-kindliche Ausdrücke wie ‘Muschi’ und ‘Kacka’? Verzeihung, aber da fielen mir auf Anhieb jede Menge ‘schmutzigere’ Ausdrücke ein. Aber vielleicht ist das einfach der nötigen Variation geschuldet. Ich finde jedenfalls, das passt alles nicht, das geht weit über einen ‘widersprüchlichen Charakter’ hinaus, das ist einfach unglaubwürdig.

Und neben dem Essen sämtlicher Körperausscheidungen (was ja erstmal niemandem schadet) kommen wir noch zu den ‘ganz ekligen’ Stellen: dass Helen im Rausch die vermischte Kotze von sich und ihrer Freundin trinkt, nunja, das wird durch die Drogen ja halbwegs entschuldigt. Aber dass sie ihre Tampons auf dem Boden öffentlicher Toiletten zwischenlagert und dort die Klobrillen offensichtlich mit Vorliebe erstmal mit ihren Schamlippen ab- und sauberwischt, um zu beweisen, dass sie sich trotzdem keinen Pilz einfängt, Entschuldigung, das hat weder mit Körperbewusstsein, mit Kampf gegen den Hygienezwang, noch mit ‘Natürlichkeit’, noch mit Coolness irgend etwas zu tun, das ist einfach nur noch Dummheit. Lachen kann ich darüber leider auch nicht, vielleicht sollte man das.

Die Handlung: wie gesagt, da passiert nicht viel, es ist ein einziger innerer Monolog der Protagonistin, die im Krankenhaus liegt, über Hygiene und deren Gegenteil nachdenkt, ein bisschen aus ihrem kurzen Leben erzählt und unbedingt ihre Eltern wieder zusammenbringen will (was ich nicht begreifen kann, aber vielleicht liegt das daran, dass ich kein Scheidungskind bin). Nach einer Notoperation (die sie durch Selbstverletzung absichtlich herbeigeführt hat, um noch eine längere Chance zur Elternwiedervereinigung an ihrem Krankenbett zu bekommen), gibt sie diesen Plan aber urplötzlich und (für mich) ohne erkennbaren Grund wieder auf. Die ganze Eltern-und-Scheidungskind-Handlung bleibt irgendwie seltsam undeutlich, oberflächlich, aufgesetzt. Stattdessen verliebt sich Helen dann in den braven (und sehr blass gezeichneten) Krankenpfleger (dem sie einige ihrer Geschichten erzählt und der ihre ‘Arschwunde’ nach der Hämorrhoiden-OP fotografieren muss) und naja, das Ende, das ist wirklich die Krönung, die Krönung des Unpassenden und Unglaubwürdigen…

Die oft kritisierte Sprache finde ich nun gar nicht so schrecklich, sondern durchaus dem Thema angemessen, über diese Themen in hochliterarischer Sprache unterrichtet zu werden, macht auch nicht unbedingt mehr Vergnügen. Die Sprache ist (vom Anlass ausgehend) weder besonders schlecht, noch besonders gut, aber auch Charlotte Roche selbst würde höchstwahrscheinlich nicht behaupten, damit ein literarisches Meisterwerk vorgelegt zu haben. Was andere mit “schlecht lektoriert” meinen, verstehe ich aber nicht ganz… Unangenehm finde ich höchstens die Ausdrucksweise “auf Klo”, die dauernd benutzt wird.

Jetzt kommt aber erst das Schlimmste: Charlotte Roche behauptet ja in Interviews immer, sie habe in Feuchtgebiete gegen den Hygienewahn und Rasurzwang anschreiben wollen, gegen Intimwaschlotionen, parfümierte Slipeinlagen und das den Frauen antrainierte Gefühl, ‘untenrum’ schmutzig zu sein und zu stinken. Man kann sich darüber streiten, ob das heutzutage und außerhalb von Amerika überhaupt notwendig ist, aber das ist ja durchaus ein hehres Motiv, das man ihr als Bonus anrechnen sollte! Aber, wie auch schon Sigrid Neudecker geschrieben hat: die Protagonistin wettert zwar gegen Intimrasur und den angeblichen ‘Rasurzwang’ ist selbst aber mit großer Freude komplett rasiert (also außer am Kopf an allen verfügbaren Körperstellen). Macht das irgendeinen Sinn? Und ich möchte darauf noch aufbauen, denn das größte Problem ist doch, dass dieses Buch sein ehrenwertes Anliegen – Sexualität und Körper mit all seinen Begleiterscheinungen und Folgen als etwas natürliches, normales darzustellen – selbst konterkariert. Denn dieses Buch spielt (und hier setze ich einfach einmal voraus: bewusst) mit dem Ekel, so dass es wiederum genau das erzeugt, wogegen es eigentlich vorgehen möchte: das Angewidertsein von Körperlichkeit und Körpersäften.

Feuchtgebiete erzeugt keinen ‘heilsamen Schock’, nach dem die Leserin beruhigt ihre Slipeinlagen weglässt (was ja wirklich gesünder ist!), sich ihrem Liebhaber nicht immer zwanghaft frisch geduscht, parfümiert und komplettrasiert präsentieren muss, sondern verstärkt doch noch den Ekel vor all dem, was da in unserem Körper vorgeht und aus ihm herauskommt! Es baut nicht wirklich Hemmungen ab, wenn von Fürzen beim Sex und den braunen Flecken nach dem Analsex die Rede ist! Es führt nicht zu mehr ‘Natürlichkeit’ und Unverkrampftheit, wenn man vorgeführt bekommt, wie jemand sämtliche Körperausscheidungen verspeist. Dieses Buch versagt meiner Meinung nach bei seinem eigenen Anliegen vollständig und das ist ja wohl der größte Vorwurf, den man diesem Buch machen kann.

Meine Empfehlung also: mal in die Interviews auf YouTube reinschauen (ich empfehle besonders das im NDR, aber auch der 2. Teil bei Kerner ist unterhaltsam), denn hier ist Charlotte Roche deutlich besser, lustiger, lockerer und interessanter als in ihrem Buch. Und wer mag, kann auch die ersten zwanzig Seiten von Feuchtgebiete im Buchladen anlesen. Das reicht für einen Eindruck, macht erstmal auch ein bisschen Spaß, aber danach kommt wie gesagt nicht mehr viel. Und vielleicht züchte ich ja mal ein Avocadobäumchen. Und einen kleinen Vorteil hat das Buch ja tatsächlich auch, wie im Literaturcafé zu lesen steht: plötzlich reden alle mal wieder über ein Buch! Ansonsten können einem die Feuchgebiete wie Herrn Denis Scheck aber auch einfach am Arsch vorbeigehen.


Und hier noch ein Exkurs für all jene, die an weiblichen Dingen ‘untenrum’ näher interessiert sind, alle anderen überspringen das bitte!

Was mich auch gestört hat, ist, dass das Buch, was den ‘Muschischleim’ betrifft, schlichtweg schlecht recherchiert ist. Das kann man der Protagonistin Helen anlasten, die sich eben ihre Gedanken macht, ohne besonders gut informiert zu sein, aber eigentlich erwarte ich schon etwas Genauigkeit von einem Buch, das sich dermaßen ausführlich mit weiblicher Anatomie und weiblichen Ausscheidungen beschäftigt. Helen redet nämlich statt von ‘Muschischleim’ auch oft von ihrem ‘Smegma‘, wenn sie den Zervixschleim meint und behauptet so, dieses Smegma käme nicht davon, dass man sich nicht ausreichend wäscht. Im Lexikon (und bei Wikipedia) steht nämlich: “Mit bloßem Auge sichtbare Ansammlungen von Smegma können sich nur bei mangelnder Intimhygiene bilden” und dem widerspricht sie heftigst, mit dem Hinweis auf ihr beflecktes Höschen (S.22-23).

Jetzt besteht da aber einfach ein Unterschied: der Zervixschleim fließt vom Gebärmutterhals (lat. Cervix) durch die Scheide nach draußen, zur Selbstreinigung, und das passiert tatsächlich dauernd, mit oder ohne Waschen. Das ist der ‘Muschischleim’, den Helen in ihrer Unterhose findet oder ins Klo fließen sieht und der ganz normal ist. Und ‘Smegma’ heißen eben tatsächlich nur die dadurch entstehenden und nach einer Weile unangenehm riechenden Ablagerungen in den Hautfalten der Schamlippen und um die Klitoris und die haben eben wirklich mit ‘mangelnder Intimhygiene’ zu tun, ganz anders als der Zervixschleim.

Helen erzählt auch davon, wie sich die Konsistenz dieses Smegmas verändere, “mal wie Hüttenkäse, mal wie Olivenöl, je nachdem, wie lange ich mich nicht gewaschen habe” (S.51). Auch das ist kompletter Unsinn. Wie gesagt kommt der Zervixschleim von innen, seine Konsistenz lässt sich durch Waschen nicht beeinflussen, sondern unterliegt vielmehr den Veränderungen im weiblichen Zyklus, in dessen Lauf sich auch die Konsistenz des Schleims verändert. Soviel zur Genauigkeit von dem, womit sich dieses Buch hauptsächlich beschäftigt.

Vom Leichten und vom Schweren

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Wenn alles so leicht wär’ wie
einschlafen, manchmal
wenn die Laken kühl sind und
Dein Atem ruhig geht
neben mir

Wenn alles so schwer wär’ wie
einschlafen, manchmal
wenn die Gedanken schmerzen,
im Kopf kreisen und
Du fehlst

Wie ein Stein sein
schwer wiegen und
leicht liegen

Vom Südwind

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Manchmal, wenn die Nacht tief und dunkel ist und der Wind aus Süden weht, von dorther, wo Du bist, Iolanda, dann trägt jener Südwind das Rattern eines Zugs in seinen engen Gleisen zu mir und sein Warnsignal von fern. Dann denke ich an Dich und daran, wie einfach es wäre, jenen Zug zu besteigen, der nach Süden fährt und zu Dir, wie einfach es wäre und wie leicht es mir fällt, es nicht zu tun. Ich vermisse Dich nicht, Iolanda, ich vermisste Dich nie. Ich vermisste nie den Geruch Deiner Haut, nicht Dein weiches Fleisch, nicht die Wärme Deines Körpers in der Nacht, wenn der Zug vorbeifuhr und uns weckte mit seinem Signal und Du Dich an mich schmiegtest, bis Dein Atem wieder ruhig ging. Ich vermisse nicht das Leben neben den Zuggleisen und nicht das Leben mit Dir. Es war so leicht Dich zu verlassen, Iolanda.

Nur wenn der Südwind das Geräusch des Zuges zu mir trägt, dann denke ich an Dich und das Bahnwärterhäuschen neben den Gleisen, in dem wir lebten. Ich denke an den Dreck, in dem wir hausten, das schmutzige Geschirr im Spülbecken und die verstreute Kleidung auf dem Holzfußboden, die leeren Flaschen überall, ich denke an die ehemals weißen Gardinen, die der Südwind aus den offenen Fenstern flattern ließ, als wolle er dem Häuschen Flügel wachsen lassen. Du erzähltest mir von der Liebe, Iolanda, und wie sie Dich betrogen und verletzt hatte, immer wieder erzähltest Du von der unglücklichen Liebe; Du trankst dabei, trankst an gegen den Kummer und gegen die Kälte des Nordwinds. „Nach Süden,“ sagtest Du, den Kopf rücklings über das Fensterbrett aus dem Fenster des Bahnwärterhäuschens hängend, wenn der Zug vorbeirauschte, „nach Süden müsste man, einfach in den Zug steigen und nach Süden.“

Und Dein Blick blieb hängen im Blau des Himmels und in den Wolken, während das Rattern des Zugs in den engen Gleisen unsere Ohren betäubte. Du fuhrst nicht, Iolanda, sondern wir liebten uns, betäubt vom Wein, auf dem Bretterboden des Häuschens, das zitterte vom Vorbeifahren der Züge. Es war so leicht Dich zu verlassen, den Zug nach Norden zu nehmen und zu gehen, fort von Dir, fort vom Häuschen an den Gleisen, fort von unserem Leben und fort von Deinem Blick in den Himmel, wenn Du betäubt vom Süden träumtest. Noch nie warst Du im Süden gewesen, aber immer hattest Du ihn vermisst, diesen Süden, der Deine Hoffnungen barg und voll Deiner Träume hing, eben deshalb, weil Du ihn nicht kanntest.

Der Wind blies aus Norden, als wir uns das erste Mal trafen und Du weintest, weintest am Grab Deines Vaters, wie ich am Grab meines Vaters hätte weinen sollen, aber ich konnte nicht, Du weißt warum. Du weintest und warst betrunken, Dein verwischter Blick und Dein Schwanken, ich musste Dich festhalten, Iolanda, beinahe wärst Du gestürzt, zu unseren Vätern ins Grab, die da nebeneinander in ihren ausgehobenen Gruben lagen. Die nebeneinander lagen, weil sie sich gegenseitig fast totgeschlagen hatten, im Suff und liegen geblieben waren, Seite an Seite, in der Kälte des Nordwinds und bewusstlos erfroren. Gemeinsam hatten sie sich betrunken, gemeinsam hatten sie nach Hause gehen wollen, gemeinsam lagen sie nun in den Gruben.

Ein scharfer Wind kam aus Norden und der Friedhof war schon ganz winterlich und kahl, aber Du wolltest bleiben und ich hielt Dich fest, ohne Tränen für meinen Vater, der von Deinem totgeschlagen worden war, der Deinen totgeschlagen hatte, nach ihrem letzten Besäufnis. Ich hielt Dich und dann nahmst Du mich mit zu Dir ins Bahnwärterhäuschen an den Gleisen, das Deinem Vater gehört hatte, und ich blieb. Du erzähltest mir von der Liebe, Iolanda, und dass Dein Vater Dich geliebt hätte. Ich sagte, dass auch er Dich nur ausgenutzt und missbraucht hätte wie die anderen Männer. Du weintest, Du nicktest, schütteltest den Kopf. Dein Vater hätte sich wenigstens für Dich interessiert, sagtest Du, hätte sich um Dich gekümmert, auf Dich aufgepasst, unter Schluchzen.

Ich kümmerte mich um Dich, ich passte auf Dich auf, wie Dein Vater, und ich drang ein in Dein weiches Fleisch und ließ mich nachts von Dir wärmen, ließ mir die Narben auf meinem Rücken küssen von Dir, trank mit Dir und hörte Dir zu, wenn Du vom Süden erzähltest und von der Liebe. Und Du warst so dankbar, Iolanda, dass ich mich schämte. Es war so leicht zu gehen, nach Norden, als ich genug von Dir hatte, Iolanda, von Deinem warmen Fleisch, Deinen Träumen und dem Bahnwärterhäuschen, in dem uns nachts das Rattern der Züge in ihren engen Gleisen weckte, es war so leicht.

Nur wenn der Südwind weht, in einer Nacht, die tief und dunkel ist, dann denke ich an Dich und wie Du auf dem Holzfußboden liegst und der Zug stößt sein Warnsignal aus und der Nordwind weht die Gardinen aus den Fenstern als wolle er das Bahnwärterhäuschen zum Fliegen bringen.

Rot

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Kerstin Klein, die mehrere Blogs hat (hier, hier und hier), hat im neuen Jahr 2010 ein Projekt-Blog gestartet, in dem es um die Frage geht “Was bedeutet ROT für Dich” oder auch “What is RED for you“. Jeden Tag wird dazu eine Antwort veröffentlicht. Ich habe natürlich gerne mitgemacht und mein Gedicht wurde am 9. Januar dort veröffentlicht. Hier ist es nochmal:

Rot

Vielleicht
das Blinken am Telefon, wenn
Du mir eine Nachricht
hinterlässt oder
das Herz, das
ich Dir male.

Rot ist,
wenn wir uns küssen.

Wenn Du Deinen Namen
in mein Herz ritzt,
das ist rot.

Ich weiß ja nicht genau, ob Kerstin genug Teilnehmer hat, aber das Jahr hat noch viele Tage und wenn jemand Lust hat mitzumachen, kann er bestimmt gerne bei Kerstin anfragen (Mailadresse findet sich im Blog).

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